Thomas Zenker, Oberbürgermeister der Stadt Zittau in Sachsen, arbeitet aktuell mit der Stadtverwaltung intensiv an kulturstrategischen Zukunftsszenarien.

Welchen Kulturbegriff legen Sie den aktuellen Kulturhauptstadt-Bestrebungen von Zittau zu Grunde?

Kultur sollte besonders im Zusammenhang mit einer möglichen Kulturhauptstadtbewerbung explizit als das Menschengeschaffene, das „Was“ und das „Wie“ des menschlichen Miteinanders in unserer Stadt und Region verstanden werden. Dies drückt sich nicht ausschließlich im Zusammenhang mit dem reinen Kulturbetrieb aus. Jedoch ist diese leider übliche ergebnisbezogene Beschreibung von Kultur als Sammelbegriff für konsumierbare Angebote professioneller wie auch ehrenamtlicher Kulturschaffender auch in Zittau mitunter die dominierende Denkrichtung von Nutzern, Politik und Stadtgesellschaft. Doch wie überall sonst bedeutet auch in Zittau Kultur viel mehr die Auseinandersetzung mit dem, was die Welt in unsere Stadt an Themen und Anregungen hineinbringt und dem, was sich nur hier auswirkt und oft besonders der spezifischen Lage und Situation zuzuschreiben ist.

In Zittau und seiner Umgebung im Dreiländereck Polen/Tschechien/Deutschland ist heute bereits eine spezifische Kultur im Neben- und Miteinander dreier Nationen samt ihren öffentlich wirksamen Protagonistinnen und Protagonisten und vielen privaten Verflechtungen entstanden, die z.B. einen trinationalen Städteverbund, zahlreiche regelmäßige Veranstaltungen in allen Bereichen von Hoch- und Alltagskultur, Sport, Bildung und Tourismus ermöglicht. Es bildet sich eine spezifische Identität der Menschen im Dreiländereck heraus, die an unzähligen Stellen tri- oder binationale Aspekte in sich trägt.

Doch das Spannungsfeld zwischen dem modernen europäischen Alltag und der historischen Entwicklung bietet noch weiten Entwicklungsspielraum: Das historisch noch junge Erbe des Dreiländerecks ist für viele Menschen mit noch immer nicht verarbeiteten schmerzhaften Zäsuren wie Vertreibung, Kriegsverlust und anderen Folgen von Diktaturen bzw. deren Zusammenbrechen verbunden. Es ist Aufgabe von Kultur jeglicher Art, diesen Weg zu ermöglichen, bewusst zu gestalten und zu begleiten. Besonders deutlich ist dies heute bereits in der Bildung, im Sport, der Wissenschaft und der Politik zu erleben

Wie gelingt es Ihnen Kultur in Zittau zu positionieren?

Gehen wir vom Kulturbetrieb aus, so nutzen Zittaus Einwohner/-innen die Angebote unserer verschiedenen Einrichtungen intensiv und erkennen damit auch an, dass wir damit für eine kleine Stadt eine enorme kulturelle Vielfalt als Standortfaktor pflegen. Besonders wichtig jedoch ist, dass sie häufig selbst Beteiligte sind, wenn es um eines der zahlreichen Formate geht, die nur durch größere Netzwerke von Engagierten zustande kommen. Diese Kultur von unten ist in Zittau und der Region sehr ausgeprägt zu erleben und hat sich von der Kleinkunst bis zur größten Sportveranstaltung verstetigt. Erstaunlich in der Anzahl und doch immer wieder normal sind Veranstaltungen mit Gästen und Gastgebern aller drei Nationen. So sind wir als Stadt sogar stolze Gastgeber eines explizit trinationalen Filmfestivals, eines ebensolchen Theaterjugendfestivals sowie immer wieder kehrenden international geprägter spartenübergreifender Projekte.

Gibt es bereits eine kulturstrategische Ausrichtung der Stadt wie auch der Region?

Die Stadt Zittau hat in ihren Kulturleitlinien (seit 2009) fünf Einrichtungen als institutionell zu fördernde und damit als wertvolle Träger einer spezifischen Zittauer Kulturszene identifiziert. Theater, städtische Museen, Tierpark, Bibliothek und ein soziokulturelles Zentrum, durch die Förderung über das Kulturraumgesetz alle im Bereich der professionellen Anbieter, arbeiten eng mit einem großen Umfeld an engagierten Unterstützern, kreativen Köpfen aus der freien Kulturszene und bieten damit der Einwohnerschaft wie auch der für die Stadt wichtigen Zielgruppe der Studierenden der hiesigen Hochschulen ein hohe Lebensqualität. Diese Ausprägung ist von Stadtrat und beteiligter Bürgerschaft gewollt und bildet zusammen mit der architektonischen Vielfalt des Stadtkerns und dem „Naturpark Zittauer Gebirge“ die wichtigste Grundlage der hohen touristischen Attraktivität unserer Stadt.

Kulturentwicklung und kulturelle Strategien sind in aller Munde. Was kann eine Kulturstrategie einer generell Stadt bringen?

Es ist wichtig, dass sich die Bürgerschaft einer Stadt auf verschiedenen Wegen regelmäßig damit auseinandersetzt, welche Art von Kultur, welche Ausrichtung von Bildung und natürlich auch welche Einrichtungen, ja sogar welche Events ihr so wichtig sind, dass sie nicht nur erhalten werden sollen, sondern auch die Chance zur Entwicklung bekommen. In der Auseinandersetzung darüber schreibt sich auch das Kulturverständnis aller Teilnehmer/-innen fort. Fragen, was jeder einzelne persönlich möchte, bereit ist dafür zu tun und zu geben, klären sich nur, wenn sie auch gestellt werden. Einer der wichtigsten Aspekte einer solche Diskussion ist ihre identitätsstiftende Wirkung für das Zusammenleben innerhalb einer Stadt.

Thomas Zenker (42) studierte Deutsche Literatur sowie Kommunikation in Leipzig, Paris und Berlin, er war über 10 Jahre international als Sprach- und Kommunikationstrainer aktiv. Seit August 2015 ist er Oberbürgermeister der Stadt Zittau.