Gerade in Zeiten angespannter öffentlicher Haushalte – nicht erst seit Corona – scheint es unerlässlich, sich Gedanken über ein kulturelles Profil zu machen. Es geht um das Selbstverständnis, um Grundprinzipien, um eine Handlungsempfehlung für die kulturelle Entwicklung.

CULTURELAB-Herausgeber Christoph Thoma reflektiert im Folgenden über eine zeitgemäße Kulturpolitik.

Grundlage für den Diskurs über eine kulturelle Positionierung, die sich mit Stärken, Chancen und Potenzialen von Kommunen und Regionen beschäftigt, bildet meist die Auseinandersetzung mit dem kulturellen Angebot.

Dabei stehen für mich drei Thesen im Vordergrund:

  1. Unsere Gesellschaft verändert sich sichtbar. Diversität, Inklusion und Heterogenität sind mehr als Schlagworte unserer Zeit, sie bestimmen in großem Stil unser Zusammenleben. Dadurch ändert sich auch das kulturelle Leben auf Basis eines zeitgemäßen Kulturbegriffs.
  1. Das kulturelle Nutzungsverhalten verändert sich. Gerade mit Blick auf digitale Angebote, und das wird durch die Corona-Pandemie noch gestärkt, gilt es, das Live-Erlebnis und die Unmittelbarkeit von Kunst als einen „Moment der Wahrhaftigkeit“ (so Matthias Naske, Intendant des Wiener Konzerthauses) konsequent zu thematisieren. Welchen Mehrwert stellt die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur für das Individuum dar?
  1. Der öffentliche Raum gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die Nutzung des öffentlichenRaums und anderer Orte durch Kunst und Kultur bietet die Chance, neue Zielgruppen zu erreichen. Im Fokus steht dabei der Wunsch nach Experimentierflächen und -orten, die es den Kunst- und Kulturschaffenden ermöglichen, ergebnisoffen zu produzieren und zu wirken.

Dies sind lediglich drei Herausforderungen, auf welche Kulturpolitik Antworten sucht. In der Folge kann eine Perspektive für eine zeitgemäße Kulturpolitik entstehen. Eine Kulturpolitik, die weit mehr subsummiert als Kunst im Sinne von Musik, darstellender und bildender Kunst, Literatur und Fragen des Förderwesens.

Basis einer zeitgemäßen Kulturarbeit ist die Idee einer aktivierenden Kulturpolitik, der sich auch Fragen von gesellschaftlicher Entwicklung, Inklusion, Migration, Mobilität, Kulinarik, Kommunikation, Bildung oder Digitalisierung stellt. Das sind nur einige Aspekte, die neben den künstlerischen Betätigungsfeldern von bildender und darstellender Kunst, Musik, Literatur, Stadtgeschichte sowie Festivals, Spiel- und Produktionsstätten oder der Lebenssituation von Künstlerinnen und Künstlern neu betrachtet werden.

Um jenseits einer reinen Beschäftigung mit finanziellen Fragen auch den Erfordernissen einer sich auf Transformation stützenden Kulturentwicklung zu begegnen, müssen Ziele formuliert werden. Das Bekenntnis zu kulturpolitischen Leitlinien kann die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Kulturpolitik sein.

  1. Kooperation: Für eine wirkungsvolle, zukunftsorientierte Kulturpolitik bedarf es neuer kooperativer Ansätze, im Sinne von Stake- und Shareholdermanagement, und insbesondere mit aktiver Bürgerbeteiligung.
  2. Vielfalt der Gesellschaft: Kulturangebote sollen die Vielfalt der gesellschaftlichen Entwicklung widerspiegelnund folglich in geeigneten Formaten präsentiert werden.
  3. Migration: Migrantische Communities müssen von Kulturakteuren hinkünftig als Zielgruppe benannt werden.
  4. Generationengerechtigkeit: Der Fokus der kulturellen Teilhabe beschränkt sich meist auf Angebote für junges Publikum. Diese Bemühungen sollten auf weitere Gruppen, wie beispielsweise Senioren, ausgedehnt werden.
  5. Neue Medien:Der Einsatz neuer Medien im Kulturleben ist ausbaufähig. Eine zeitgemäße Präsentation von Kulturakteuren, beispielsweise von Kulturvereinen, darf nicht unterschätzt werden. Hierfür ist der Ausbau von digitalen Kompetenzen dringend notwendig. Die Corona-Pandemie hat die Wichtigkeit dieser Kompetenzen sehr deutlich gemacht.
  6. Kultur der Entscheidung:Zukunftsweisende Entscheidungen bedürfen einer klaren Haltung, einer Vision und des Muts zu mitunter auch polarisierenden Lösungsansätzen.
  7. Transparenz:Sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch Kulturakteure wünschen sich Transparenz und mehr Information über kulturpolitische Entscheidungen und Entscheidungsprozesse.

Zeitgemäße Kulturpolitik versteht sich als Übersetzer, als Ermöglicher, als Moderator, will Werte ganzheitlich vermitteln: Wie wollen wir leben, wie wollen wir arbeiten, wie und wo verbringen wir unsere Freizeit, welche Angebote brauchen beispielsweise Stadtteile im Kontext von Öffentlichkeit, Sport oder eines tradierten Kulturverständnisses? Dies bleibt eine immerwährende Herausforderung.

CULTURELAB-Herausgeber Christoph Thoma ist seit März 2017 (und zuvor von Juli 2015 bis Juni 2016) nebenberuflich Stadtrat/Dezernent für Kultur und Vereinswesen der Stadt Bludenz sowie seit November 2019 als Mitglied des Vorarlberger Landtags Sprecher für Kunst und Kultur der Vorarlberger Volkspartei. Er ist zudem Mitglied des Kulturausschusses des Österreichischen Städtebundes sowie des Vorarlberger Landeskulturbeirats.