Kulturämter sind Veranstalter, Berater, Dienstleister, Förderer, Sammler und Gestalter. Gerade deshalb ist die Transformation der Kulturverwaltung eine kommunikative Herausforderung.

Die Pandemie, der Ukraine-Krieg, die Energiekrise, eine Inflation, welche die Welt seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hat: Wir erleben eine Zeitenwende, wie es der Deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz Ende Februar 2022 im Bundestag auf den Punkt gebracht hat. Doch was lernen wir als Gesellschaft aus diesen multiplen Krisen, wie gestalten wir die Zukunft? CULTURELAB-Geschäftsführer Christoph Thoma reflektiert im folgenden Artikel gemeinsam mit Co-Autor Julian Bitsche die Herausforderungen an eine moderne Kulturverwaltung im Kontext von Transformation und Öffentlichkeit.

Im September 2022 debattierten dazu die Kulturamtsleiter:innen von Albstadt, Aschaffenburg, Augsburg, Böblingen, Deggendorf, Innsbruck, Jena, Salzburg, Wels und Winterthur gemeinsam mit Tobias J. Knoblich, dem Dezernenten für Kultur und Stadtentwicklung aus Erfurt, im Rahmen des Kulturlabors #2022 in der Tiroler Landeshauptstadt, moderiert von Christoph Thoma und sentum-Geschäftsführer Edgar Eller.

Vom Klimawandel bis hin zur Mobilitätswende

Die kommunale Verwaltung befindet sich im Wandel, nicht zuletzt durch Digitalisierung, Klimawandel oder Mobilitätswende. Doch wie kann es der öffentlichen Verwaltung gelingen, diesen Kulturwandel hin zu mehr Offenheit und Innovationsfähigkeit zu vollziehen? Welche Prozesse braucht ein zeitgemäßes Kulturmanagement im Kontext von kommunaler Kulturarbeit? Der deutsche Soziologe Harald Welzer brachte es in einem ZDF-Interview im November 2020, auf dem Höhepunkt und Corona-Pandemie, auf den Punkt: „Ohne Plan B ist es das Naheliegendste, zum Status Quo zurückzukehren. Deshalb müssen wir jetzt Zukunftsbilder entwickeln und uns Zukunft zutrauen.“ Dass es diesen Status Quo, sprich die Zeit vor der Pandemie so nicht mehr geben wird, hat direkte Auswirkungen auf die Kunst- und Kulturarbeit. Daher suchen wir Antworten auf folgende Aspekte einer aktivierenden Kulturarbeit:

Vernetzung: Kunst und Kultur brauchen einen konsequenten Dialog, brauchen Knotenpunkte, um sich auszutauschen. Diese Vernetzung umfasst kunst- und kulturinteressierte Gruppierungen und Personen aus der Kunst- und Kulturbranche ebenso, wie Akteurinnen und Akteure, die über Kunst und Kultur einen gesellschaftlichen Mehrwert erzeugen.

Bündelung der Kräfte: Gerade in Zeiten angespannter öffentlicher Haushalte braucht es den Mut, Entscheidungen zu treffen und Kräfte im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu bündeln.

Lebendige Vielfalt: Kunst und Kultur leben von Vielfalt, von unterschiedlichsten Vorstellungen über das kulturelle Leben. Damit leistet künstlerische Produktion, professionell und ehrenamtlich, einen wesentlichen Beitrag für ein gelingendes Zusammenleben.

Jugendkultur stärken: Jugendkultur wird als Impulsgeber gesellschaftlicher Entwicklungen und als eigenständige Kulturleistung mit Innovationspotenzial anerkannt. Junge Menschen müssen künftig in der Entwicklung und Ausübung einer eigenständigen und selbstorganisierten Jugendkultur unterstützt und gefördert werden.

Attraktionen schaffen: Kunst- und Kulturangebote können Menschen emotional berühren, begeistern und leisten einen Beitrag für eine diskursive Gesellschaft. Daher braucht es kulturelle Attraktionen, Leuchtturmprojekte, welche faszinierende Momente der Wahrnehmung auslösen.

Diversität: Die Gesellschaft wird bunter, doch haben alle Menschen ein Bedürfnis: Sie suchen nach persönlicher Begegnung und insbesondere nach kulturellen Erlebnissen. Das Bewusstsein für Diversität, im Sinne eines vielfältigen kulturellen Lebens, gilt es in einem zukunftsgewandten Kulturverständnis weiter zu schärfen.

Digitalisierung: Die digitale Transformation im Kunst- und Kulturbereich muss durch technologische Innovationen weiterentwickelt und verstärkt nutzbar gemacht werden. Dabei gilt es, in erster Linie eine Aneignung von neuem Wissen und Kompetenzen zu fördern, Innovation zu forcieren sowie neue Konzepte zur Zugänglichkeit (Open Access) und Sichtbarkeit zu erproben. Damit sind wir auch mittendrin in einer zeitgemäßen Form von Kommunikation.

Kultur ist ein weites Feld

Wenn wir heute von gesellschaftlichen Herausforderungen sprechen, dann geht es darum, wie wir unser Leben aktiv gestalten. Gesundheit und Wohlergehen stehen gerade angesichts der Corona Pandemie und den geopolitischen Entwicklungen im Zentrum unseres Handelns, dazu kommen Aspekte von Nachhaltigkeit mit Blick auf den Klimawandel, eine sichere und saubere Energiegewinnung und folglich eine intelligente und umweltfreundliche Mobilitätsentwicklung. Allesamt Fragen, welche auf einem zeitgemäßen Kulturbegriff aufbauen.

Städte sind die Innovationsräume der Zukunft

Die Zukunftsfähigkeit von Städten hängt folglich in einem hohen Maße davon ab, inwieweit sich Klimaschutz, Klimawandelanpassungen, Innovationsbereitschaft und die Berücksichtigung der sozialen Gerechtigkeit in Strategien und Maßnahmenplänen wiederfinden. Es ergibt sich daraus ein kulturelles Selbstverständnis, das in aller Breite wirkt und verstanden wird. Die Rolle von Kunst und Kultur kann dabei wie folgt verstanden werden: Positionierung im Kontext einer zukunftsgewandten Kulturverwaltung, welche einer Stadt mit qualitativ hochwertigen kulturellen Angeboten zu einer unverwechselbaren Marke verhelfen.

Transformation der Kulturarbeit

Zeitgemäße Kulturarbeit legt daher ihr Hauptaugenmerk auf Leistungen der Kunst, nicht auf Repräsentation, setzt auf ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit und Debattenkraft, um sich für den gesellschaftspolitisch hohen Wert von Kunst und Kultur starkzumachen. Doch welche Hebel benötigen wir für eine kulturelle Transformation? Waren es erst Migration, Integration und Diversität, in Folge Klimawandel und eine anhaltende Mobilitätsdebatte, folgen nun ökonomische und soziale Herausforderungen. Wir kommen damit auch im Kunst- und Kulturbereich in eine Post-Wachstumsphase: Wir brauchen ein qualitatives, inhaltliches Wachstum von Kunst und Kulturangeboten. Quantitatives Wachstum hat sich überholt. Kein „more of the same“ mehr, sondern neue Spielregeln, um künstlerische Entwicklungen zuzulassen. Daraus ergeben sich kreative Allianzen!

„Ja, wir schrumpfen im Wohlstand, wir schrumpfen auf höchstem Niveau, und wir werden folglich über Loslassen und neue Schwerpunkte nachdenken müssen“, bekräftigte Tobias J. Knoblich im Rahmen des Kulturlabors.

Das erfordert eine individuelle Schärfung der Rolle von Kulturämtern bzw. kommunaler Kulturverwaltung, auch auf Basis einer Kulturförderung, welche sich weg von der Gießkanne, hin zu qualitativen Richtlinien bewegt. „Denn Wer sich nicht verändert, wird verändert!“, hielt der Albstädter Kulturamtsleiter Martin Roscher fest.

Eine funktionierende und erfolgreiche kommunale Kulturarbeit braucht eine strategische Positionierung, eine Selbstvergewisserung der eigenen Stärken und Potenziale. Es gilt, sich immer wieder folgenden Faktoren der kulturellen Positionierung zu stellen:

  • Entwicklung eines unverwechselbaren Kulturprofils
  • Erkennen und Benennen von Stärken, Schwächen und Bedarfsfeldern des Kulturprofils bzw. des kulturellen Angebotes
  • Identifikation von (Zukunfts)potenzialen auf Basis eines Dialogs über Möglichkeitsräume, in denen Neues entstehen kann, um unsichtbare Ecken beleuchten zu können
  • Erarbeitung von Maßnahmen und Empfehlungen zur Erhöhung des Bekanntheitsgrades der zu positionierenden Kulturmarke, im konkreten Falle der kulturellen Wahrnehmung der Stadt, was eine professionelle Kommunikationsstrategie erfordert
  • In Ergänzung dazu, die Ausarbeitung von beispielhaften neuen Umsetzungsprojekten auf dem Weg zur Steigerung der kulturellen Wahrnehmung

Utopiefähigkeit einer Stadt manifestiert sich durch eine aktivierende Kulturpolitik

Gerade die Pandemie hat aufgezeigt, wie fragil das kulturelle System ist. Die Frage nach Systemrelevanz bleibt, genauso die Frage nach Widerstandsfähigkeit Es fehlen innovative Förderinstrumente für Künstlerinnen und Künstler, insbesondere der freien Szene. Es braucht Lösungen, die darauf abzielen, das Leben von Kulturakteurinnen und -akteure langfristig abzusichern, sie müssen raus aus dem Prekariat, beispielsweise durch den massiven Ausbau von Stipendien, Residenzprogrammen oder einer zielführenden Diskussion über langfristige Projektförderungen auf allen Förderebenen, welche ein kreatives Schaffen über einen längeren Zeitraum ermöglicht. Folglich müssen künstlerische Prozess noch stärker in die Gesellschaft hineingetragen und Vielfalt reflektiert werden, um partizipative Elemente stärker und inklusiver zu gestalten.

Kultur des Experimentierens

Wir brauchen eine Kultur des Experimentierens, des Scheiterns! Nur so können wir langfristig strukturelle Veränderungen möglich machen. Es klingt einfach, wenn Kulturschaffende oder beispielsweise Theater- oder Opernhäuser mehr Geld von der öffentlichen Hand fordern, aber das ist nicht die Lösung: Die Lösung kann nur ein Aufbrechen vom tradierten System sein, mehr Beweglichkeit hin zu Mut und Innovation. Das ist das Verständnis einer aktivierenden Kulturarbeit!

Bleibt die Frage, nach einer Kommunikationsstrategie für die kommunale Kulturverwaltung. Wie kommunizieren Ämter, was gilt es zu kommunizieren? Liegt der Fokus auf Bewusstseinsbildung, auf einer Metaebene, um die gesellschaftspolitische Bedeutung einer belebenden Kulturarbeit zu transportieren, oder auf dem schnellen kulturellen Event, welches Publikum erreicht werden soll? Die Frage lässt sich nicht abschließend beantworten, aber, um Potenziale von künstlerischer Reflexion freizusetzen, braucht es strukturelle Debatten über Kunst- und Kulturarbeit. Und diese brauchen einen öffentlichen Diskurs und Sichtbarkeit auf allen Kanälen.