Über die Herausforderungen des neuen Unterrichtsfaches Musikvermittlung … erschienen im aktuellen Ostinato des Vorarlberger Landeskonservatoriums … ein Beitrag von Lilian Genn und Christoph Thoma

Musikvermittlung will mit Kommunikation und Interaktion mit dem Publikum Beziehungen aufbauen, mit dem  Publikum in Dialog treten und Menschen folglich emotional berühren. Das Betätigungsfeld ist breit, es reicht von Kinder- und Jugendkonzerten hin zu partizipativen Formaten im schulischen Kontext oder inszenierten Bühnenkonzepten für Orchester oder Kammermusikensembles. Schon allein durch diesen breiten Zugang wird ersichtlich, wie komplex die Herausforderungen dieses beständig wachsenden Berufsfeldes sind.

„Musikvermittlung ist vor diesem Hintergrund die Entwicklung und Anwendung von Methoden, Spielformen und Techniken künstlerischer, reflexiver und kommunikativer Art, mit dem Ziel, Musik in unterschiedliche gesellschaftliche Kontexte zu bringen“, schreibt die deutsche Musikvermittlerin Dr. Ingrid Allwardt in einer Publikation für den Deutschen Musikrat (2012). Eine grundlegende Fähigkeit eines Musikers/einer Musikerin muss es daher sein, über Musik sprechen zu können, künstlerische Leidenschaft in Worten auszudrücken. Kaum eine Zielgruppe wird heute nicht in musikvermittelnde Konzepte eingeladen. Musikvermittlung befasst sich mit Erwartungshaltungen dieser unterschiedlichsten Zielgruppen. So existieren längst „Krabbelkonzerte“ für ein- bis zweijährige Kinder, die verschiedensten Schulstufen sind schon seit rund 30 Jahren Teil des Konzertkanons. Menschen mit Beeinträchtigungen, Senioren oder Strafgefangene werden vermehrt als Anspruchsgruppe wahrgenommen, genauso wie beispielsweise Lehrlinge. Dabei gilt es zu unterscheiden:

  1. Konzertformate, die tradierte Konzertformate aufbrechen, die jedoch den Anspruch einer Konzertdarbietung haben. Im Fokus steht die künstlerische Erfahrung, das Hören von Musik mit allen Sinnen. (z.B. moderierte oder inszenierte Konzerte, konzertpädagogische Einführungen, …)
  2. Workshopformate, welche schöpferische Prozesse in den Fokus der künstlerischen Arbeit stellen, und folglich Menschen aktiv an der Entstehung von Kunst teilhaben lassen.
  3. Entwicklung von Konzeptenan der Schnittstelle von Kunst und Bildung entwickeln, die Bezug auf eine gesellschaftliche Veränderung nehmen.

Was bedeutet Musik? Was ist eine Melodie? Was ist Humor in der Musik? Wie viel Interpretationsspielraum hat ein Dirigent? Diesen Fragen stellte sich beispielsweise Leonard Bernstein, der „Godfather of Music Education“, in seinen „Young People’s Concerts“ bereits Ende der 1950er-Jahre. Fragen, die in keinster Weise an Relevanz für den Konzertbetrieb verloren haben. Im Gegenteil, denn insbesondere Erwachsene werden zunehmend als Zielgruppen ernst genommen, die durch neue Konzertformate mit Musik intensiver in Berührung kommen wollen. So können neuen Orte, neue Räume bespielt werden, die klassische Form des Raumsettings wird dabei aufgebrochen, Brücken zu anderen künstlerischen Disziplinen wie Literatur, bildender Kunst oder beispielsweise Tanz bilden eine Bezugsebene zur Musik, Kunst per se besser wird begreifbarer. Konzerte finden daher auch an den verrücktesten, nicht zu erwartenden Orten statt: Turnsälen, Jugendzentren und Kindergärten, aber auch in Parks, im öffentlichen Raum sowie in Kinos oder Seniorenheimen, Krankenhäusern und Gefängnissen.

Es gibt keine Berührungsängste mehr. Musikervermittler bringen Musik zu den Menschen. Das geht auch einher mit einem veränderten Nutzungsverhalten von Musik. Mittlerweile kann Musik aller Genres In den eigenen vier Wänden konsumiert werden. Allerdings ist das Live-Erlebnis, dieser „Moment der Wahrhaftigkeit“, wie ihn der Wiener Konzerthaus-Intendant Matthias Naske seit rund 15 Jahren beschreibt, schlichtweg nicht durch technische Neuerungen ersetzbar. Musik lebt von der Emotion im Augenblick des Zuhörens, die auch wesentlich durch die Bühnenpräsenz und dramaturgische Spannungsbögen übertragen wird.

Ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung stellt auch der Diskurs über Qualitätsmerkmale dar. Wie findet ein musikbezogenes Thema beispielsweise sein eigenes, passendes Konzertformat? Welche Balance zwischen Musik und Vermittlung wird definiert? Wie gelingt ein dramaturgischer Spannungsaufbau, flankiert von Fragen nach künstlerischer Präzision, Originalität der Bühnenperformance, Irritation oder des innovativen Charakters? Am Ende bleibt immer ein Gesamteindruck, der auf einer durchdachten Konzeption, hoher künstlerischer Qualität und insbesondere einer professionellen Vermittlung aufbaut. Es bleiben drei Erkenntnisse:

  1. Durch all diese Tatsachen hat sich das Berufsbild der Musikvermittlung verändert. War vor einigen Jahren das Feld der Musikvermittlung reduziert auf Kinder- und Jugendkonzerte, so ist Musikvermittlungheute irgendwie ein musikalischer Treffpunkt der Generationen geworden. Ein Musikvermittler muss im Grunde selbst Veranstalter sein, er muss sich mit inhaltlich-konzeptiven Fragen ebenso auseinandersetzen, wie mit performativen Ansätzen, er braucht Schlüsselkompetenzen in Kommunikation und Begeisterungsfähigkeit. Denn Musik will erzählt werden.
  2. Musikvermittlung ist aus dem Musikleben des 21. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken.Daher muss sich dieses weite Feld als Querschnittsthema im Curriculum einer jeden Musikuniversität finden. Musikvermittlung ist eine künstlerische Disziplin geworden, die professionelle Auseinandersetzung und Lernprozesse voraussetzt. Es geht schlicht umeine ganzheitliche Herangehensweise an Kunst.
  3. Ein wesentliches Merkmal von gelungener Musikvermittlung ist Offenheit und Kooperationsbewusstsein.Offenheit in Bezug auf die bereits angesprochene Öffnung in Richtung anderer Disziplinen, Offenheit mit Blick auf die operative Zusammenarbeit von KünstlerInnen, Institutionen wie Orchestern, Musikschulen oder Theater sowie der freien Szene, genauso auch Offenheit und Neugier gegenüber neuen Publikumsschichten, die eine Begegnung auf Augenhöhe erlaubt. .

Lilian Genn und Christoph Thoma haben im Studienjahr 2018/19 erstmals ein Seminar Musikvermittlung angeboten und im Rahmen der Lehrveranstaltung gemeinsam mit fünf Studierenden ein Konzertformat für Familien im Rahmen des Internationalen Bodenseefestival 2019 auf Schloss Achberg sowie der Volksschule Nüziders erarbeitet.