Der Wettbewerb um den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ löst eine neue Dynamik für die kulturelle Positionierung und die Stadtentwicklung aus.

Mit großen Erwartungen gehen Städte in einen Bewerbungsprozess als Kulturhauptstadt Europas. Zuletzt für das Jahr 2024 drei Städte in Österreich (Bad Ischl, Dornbirn und St. Pölten). Was bleibt von diesem Prozess, welche Lerneffekte können sich einstellen, was bedeutet Scheitern im Kontext einer kulturellen Strategie und insbesondere für eine ganzheitliche Stadtentwicklung?

Die Initiative „Kulturhauptstädte Europas“ soll den Reichtum und die Vielfalt der Kulturen in Europa hervorheben, kulturelle Eigenschaften würdigen, die den Europäerinnen und Europäern gemein sind, bei den Bürgerinnen und Bürgern Europas das Gefühl stärken, einem gemeinsamen Kulturkreis anzugehörenund insbesondere den Beitrag der Kultur zur positiven Entwicklung von Städten unterstützen.

Die Grundlage für eine Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt bildet eine zeitgemäße Kulturstrategie. Die ersten Profiteure eines solchen Prozesses sind immer die Bürgerinnen und Bürger selbst. Zur Selbstvergewisserung eines Lebensraumes gehört daher nicht nur das soziale Umfeld, das Vereinsleben oder der Arbeitsplatz, sondern insbesondere das kulturelle Angebot, Bildungseinrichtungen und beispielsweise Möglichkeitsräume für Sport und Freizeit. Städte und Regionen können so ihre Attraktivität steigern. Diese Erkenntnis basiert auf dem UNESCO Kulturbegriff aus dem Jahr 1982, beschlossen im Rahmen der Weltkonferenz über Kulturpolitik 1982 in Mexiko-Stadt:

„Die Kultur kann in ihrem weitesten Sinne als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen werden, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schließt nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertsysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen.“

Diese Auseinandersetzung mit dem kulturellen Profil bildet die Grundlage für den Diskurs über eine Positionierung, die sich mit Stärken, Chancen und Potenzialen von Städten und Regionen auseinandersetzt.

Dornbirn plus: Im Scheitern wachsen

„Die Durchdringung sämtlicher gesellschaftlicher Bereiche mit kulturellen Fragestellungen ist eine der wesentlichen Erkenntnisse der Bewerbung von ‚Dornbirn plus‘ für das Jahr 2024“, blickt der Dornbirner Kulturamtsleiter Roland Jörg sehr positiv auf den Bewerbungsprozess zurück. Dornbirn, die größte Stadt des westlichsten, österreichischen Bundeslandes Vorarlberg mit knapp über 50.000 Einwohnerinnen und Einwohner, hat sich gemeinsam mit dem Vorarlberger Rheintal auf den Weg gemacht, Europäische Kulturhauptstadt 2024 zu werden. Einziger Makel der Bewerbung: Die Landeshauptstadt Bregenz, die wahrnehmungstechnisch bereits eine Kulturhauptstadt ist, hat sich nach gut zwei Jahren aus dem Bewerbungsprozess verabschiedet.

Der Bregenzer Bürgermeister Markus Linhart sagte 2017 in einer österreichischen Tageszeitung: „Projekte, die man nicht verfolgen will, sollte man zeitgerecht stoppen.“

Trotzdem wurde die Bewerbung konsequent fortgesetzt, scheiterte jedoch in 2. Runde an Bad Ischl/Salzkammergut. Es ist jedoch gelungen verschiedenste Facetten der gesellschaftspolitischen Herausforderungen in Fachkreisen zu diskutieren und eine Öffnung des Blickfeldes auf die Kraft von künstlerischen Prozessen für die kulturelle (Stadt)Entwicklung zu erreichen. Der „Plan B“, die Umsetzung der Kulturstrategie sowie einige Aspekte der Bewerbungsschrift rücken nun in den Vordergrund. Es geht nicht nur um Kunst und Kultur in einem engen Rahmen, sondern tangiert Bereiche des alltäglichen Lebens, etwa Raumplanung, Architektur, digitale Transformation, den interkulturellen Dialog oder die Stärkung es internationalen Profils in Form neuer europäischer Netzwerke.

In der Perspektivenschrift des Dornbirner Kulturleitbildes bis 2030 wurde niedergeschrieben, dass „positive gesellschaftliche Potenziale zu stärken und damit wichtige Schritte zu einem besseren Zusammenleben zu setzen sind“. Und weiters: „Wir wollen Abgrenzungsmechanismen, die altersbedingt oder herkunftsbedingt zu isolierten Gruppebildungen und Meinungshaltungen führen, mit gezielten Programmen überwinden und unsere gesellschaftliche Vielfalt und Buntheit als positiven Lebens- und Kreativfaktor unterstreichen.“

Dornbirn plus ist diesen Weg der Transformation konsequent gegangen: Eine „Tour de Force“, welche die neue Kulturstrategie 2030 mit Kultur als Querschnittsmaterie herausgebracht hat. Was bleibt nun nach drei intensiven Jahren?

Die Vielfalt der Anregungen, die in den verschiedensten Dialoggruppen diskutiert wurden, ermutigen die Stadt Dornbirn, den Weg fortzusetzen, insbesondere im Rahmen einer Neudefinition von Stadträumen wie auch der weiteren Positionierung von Kreativwirtschaft als Standortfaktor. Ein wesentlicher Effekt der Bewerbung: Die Stadt Dornbirn, das Land Vorarlberg und private Investoren werden mit rund 100 Mio Euro die Weiterentwicklung der Fachhochschule Vorarlberg und den Ausbau zu einem kreativen Campus aus Wissenschaft, „Creative Hub“ und urbanem Lebens- und Arbeitsraum vorantreiben. Damit entsteht auch einekulturelle Neubelebung eines Stadtteils, was fortlaufend als ein wesentliches Ziel der Kulturhauptstadtbewerbung definiert wurde.

CULTURELAB-Geschäftsführer Christoph Thoma war Impulsgeber eine mögliche Bewerbung von Bregenz als Europäische Kulturhauptstadt 2024. In Folge begleitete CULTURELAB in den  Jahren 2017 bis 2019 (bis zur erfolgreichen Nominierung auf die Shortlist der deutschen Bewerberstädte) die Stadt Chemnitz auf dem Weg zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025.